Über Sprachenlernen: Die verschiedenen Lernphasen, mit dem GER als Leitfaden
Wenn du zum ersten Mal eine neue Sprache lernst, ist wohl die größte Herausforderung, herauszufinden, worauf du dich eigentlich einlässt. Deswegen sehen wir uns hier die verschiedenen Niveaus und deren Beschreibungen aus der Sicht europäischer Sprachlehrender an. In den USA teilt man die Personen üblicherweise1 in drei Gruppen nach ihrem Grad der Sprachkenntnisse ein. Menschen, die keine Kenntnisse einer Zweitsprache besitzen, diese mit Grundkenntnissen und jene, die die Sprache fließend beherrschen. Dabei gibt es aber in Wirklichkeit ein sehr breites Spektrum an Phasen, die wir alle auf der spannenden Reise vom ersten Wort bis hin zum fließenden Sprechen durchlaufen.Wenn du das Erlernen einer neuen Sprache in Angriff nehmen möchtest, ist es sehr hilfreich, ein paar grundsätzliche Dinge vorab zu wissen. Denn vom ersten Erfolg bis hin zur problemlosen Verständigung kann es ein langer Weg sein. Und wenn du nicht gut vorbereitet bist, sieht es so aus, als ob die Fortschritte ausbleiben.Schauen wir uns also schon mal an, wie die Reise aussieht, was dich auf jedem Niveau erwartet und wie lange es im Allgemeinen dauert, um die einzelnen Etappenziele zu erreichen.
Die GER-Skala
Es gibt zahlreiche Skalen und Tests zur Bewertung von Sprachfähigkeiten, aber ich persönlich empfinde die 6-Punkte-Skala des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen, kurz GER, als sehr hilfreich. Sie ist einfach, europaweit anerkannt und übersichtlich.Die GER-Skala gliedert sich in sechs Stufen: A1, A2, B1, B2, C1 und C2.
Dabei bezeichnet das A-Niveau das Anfänger-Niveau, das B-Niveau richtet sich an Fortgeschrittene und mit dem C-Niveau giltst du als sprachsicher. Schauen wir uns das Ganze aber nochmal genauer an.
A1-Niveau: Absolute Anfänger
- „der zerstörerische Hulk” – der A1-Hulk
Wenn du das A1-Niveau erreicht hast, umfasst dein Wortschatz um die 700 Wörter, zu denen allerdings auch Ableitungen anderer Wörter zählen (z.B. „Schönheit“ von „schön“). Manche Vokabeln wirst du dir schnell einprägen können, für andere wirst du mehr Zeit und Energie aufwenden müssen. Alles in allem ist das aber schon mal ein guter Anfang.Deine Grammatikkenntnisse begrenzen sich auf simple Vergangenheits- und Zukunftsformen, einige Komparative und Superlative („bigger than“, „the biggest“), einfache Fragen, Modalverben („can“, „should“) und ein paar weitere Themen. Insgesamt sind deine Kenntnisse aber noch sehr begrenzt. Das alles auch in alltäglichen Situationen umzusetzen, ist an diesem Punkt noch etwas schwierig. Wahrscheinlich ist es auch noch herausfordernd für dich, stimmige Sätze zu formulieren.700 Wörter und Superlative klingen vielleicht nach einer Menge, ist aber, wenn du dir alleine die Komplexität deiner Muttersprache vor Augen hältst, überraschend wenig. Du kannst mit diesem Sprachwissen Dinge auf sehr einfache Art und Weise erklären und dich mit MuttersprachlerInnen unterhalten, wenn diese bereit sind, sich deinem Sprechtempo anzupassen.Daher solltest du im Hinterkopf behalten, dass dir mit einem A1-Niveau noch keine anspruchsvollen Unterhaltungen gelingen werden. Vielleicht wirst du dich wie Paulo von Friends fühlen, Rachels italienischem Freund aus der ersten Staffel. Oder wie Brad Pitt in Inglourious Basterds, als er versucht, italienisch zu sprechen. Oder eben auch wie das grüne Monster Hulk. Du kannst dich verständlich machen, aber es läuft noch ein bisschen holprig für alle Beteiligten.
Du brauchst ungefähr 80 bis 120 Lernstunden, um dieses Niveau zu erreichen – je nach Lernintensität und Lernstil. Zum Beispiel umfasst ein Alliance Française Intensivkurs 80 Unterrichtsstunden plus 20 bis 40 weitere Stunden Selbststudium. Das kann man in vier Wochen schaffen – dann allerdings nur, wenn man ganztägig und jeden Tag lernt. Wenn du hingegen nur eine Stunde pro Tag investierst, benötigst du wahrscheinlich bis zu vier Monate.
A2-Niveau: Kein absoluter Anfänger mehr
- „Der Hulk liebt es,Dinge zu zerstören“ – der A2-Hulk
Wenn du das A2-Niveau erreicht hast, verfügst du über einen Wortschatz von ungefähr 1.500 Wörtern und hast deine Grammatikkenntnisse um einiges erweitert.Jetzt kannst du ganze Unterhaltungen führen, wenngleich noch sehr elementar und mit einigen „Ähms“ dazwischen, um nach dem passenden Wort zu suchen. Zum Beispiel kannst du dich in einfacher Sprache über deine Familie, vergangene Ereignisse, dein Lieblingsessen, Filme, die du gesehen hast und Ähnliches unterhalten. Deine Gesprächspartner sind noch immer aufgefordert, langsamer zu sprechen und dich etwas zu unterstützen, aber die Unterhaltungen verlaufen schon viel entspannter.Du sprichst in etwa wie Tom Hanks am Ende von The Terminal.Um den Sprung von A1 zu A2 zu schaffen, sind nochmal weitere 100 bis 150 Stunden notwendig, also 250 Stunden von Null angefangen. Diese Einschätzung bezieht sich allerdings auf mehr oder weniger verwandte Sprachen, wie wenn zum Beispiel Englisch-MuttersprachlerInnen Spanisch lernen, oder Französisch-MuttersprachlerInnen Holländisch. Wenn du eine Stunde pro Tag ins Lernen investierst, brauchst du etwa 8 Monate, um vom Anfängerniveau zu A2 zu gelangen. Bei 4 bis 6 Stunden pro Tag verkürzt sich die Zeit auf 3 Monate.
B1-Niveau: Du giltst als fortgeschritten
- Ständig Dinge zerstören zu müssen, kann von Vorteil, aber auch von Nachteil sein. – der B1-Hulk
Auf dem B1-Niveau wird alles schon viel angenehmer. Du verfügst jetzt bereits über ein Repertoire von rund 2.500 Wörtern, von denen du die Hälfte problemlos und rasch abrufen kannst. Unterhaltungen verlaufen dadurch um einiges leichter und flüssiger.Bei Themen, mit denen du noch nicht so viel Übung hast, bist du immer noch ein bisschen zögerlich, aber du hast keine Probleme mehr, dich in alltäglichen Situationen, wie beim wöchentlichen Einkauf oder einer Bestellung im Restaurant zurechtzufinden. Auch das Lesen von einfachen Büchern und Zeitungsartikeln macht schon mehr Freude, vorausgesetzt, du bist mit dem Kontext vertraut. Sogar fernsehen ist mit Untertiteln in der Zielsprache möglich.Erinnerst du dich an Colin Firth in der Rolle des Jamie am Ende des Films Tatsächlich… Liebe, als er Aurelia auf Portugiesisch einen Antrag macht? Er spricht nicht wirklich fließend, aber man kann trotzdem gut verstehen, was er sagen möchte, und die Familie kann mit ihm kommunizieren.
Zwischen dem A2 und B1-Niveau liegen ungefähr 200 Stunden. Das sind also, von Null gerechnet, insgesamt rund 450 Stunden. Angenommen du lernst eine Stunde pro Tag, dann benötigst du hierfür 18 Monate. Hast du das Glück, an einem Vollzeit-Sprachlernprogramm teilzunehmen, reduziert sich die Zeit auf 4 bis 5 Monate.
B2-Niveau: Fast fließend
„Es ist schwer, der Hulk zu sein.Denn, obwohl ich keine Dinge zerstören möchte, fällt es mir schwer,diesem Verlangen zu widerstehen.“ – der B2-Hulk
Die meisten verstehen unter dem B2-Niveau das annähernd fließende Beherrschen einer Sprache. Dein Wortschatz umfasst auf diesem Niveau ungefähr 4.000 Wörter.Noch unterhältst du dich nicht ganz ohne Anstrengungen und es schleichen sich auch hier und da noch Fehler ein, aber die Konversationen zwischen dir und deinen muttersprachlichen GesprächspartnerInnen verlaufen größtenteils flüssig. Du fühlst dich in Unterhaltungen über eine breite Palette an Themen wohl. Die meisten Filme oder Sendungen in der Zielsprache sind für dich gut zu verstehen.Dein Sprachniveau gleicht dem von Massimo, dem von Jennifer Lopez verschmähten Italiener im Film Wedding Planner. Oder dem von Jackie Chan in Rush Hour. Man versteht dich sehr gut und du hast auch keine Probleme zu verstehen, was MuttersprachlerInnen sagen. Um von B1 zu B2 zu gelangen, benötigst du ungefähr 200 Stunden; wenn du von Null anfängst sind das insgesamt 650 Stunden. Bei 60 Minuten Selbststudium pro Tag braucht man dafür fast 2 Jahre. Mit vier Stunden Sprachkurs täglich und der dazugehörigen Disziplin sind das immer noch 28 Wochen (7 Monate).
C1 und C2-Niveau: Annähernd muttersprachliche Kenntnisse
“Wenn man sichernsthaft mit derEtymologie des Wortes Hulk beschäftigt, ist es denn dann tatsächlich überraschend, dass er sich über die Zerstörung seines Umfeldes definiert?“ – der C1-Hulk
Diese beiden Niveaus fasse ich zusammen, da sie beide fließende Sprachkenntnisse beschreiben. Wer über C1-Kenntnisse in einer Sprache verfügt, hat selten Probleme, die exakten Wörter zu finden, ist weitestgehend mit den grammatikalischen Inhalten vertraut, kennt eine Bandbreite an umgangssprachlichen Ausdrücken, kann problemlos fachspezifische Artikel verstehen usw. Mit C2 reicht dein Sprachverständnis an das von MuttersprachlerInnen heran.Meist konzentrieren sich Lernende auf diesem Niveau auf ein Spezialgebiet in der jeweiligen Sprache, wie Recht, Wissenschaft oder Betriebswirtschaft.Ein gutes Beispiel ist das Englisch von Christoph Waltz in Inglourious Basterds – er ist kein Muttersprachler, sein Sprachniveau kommt dem aber sehr nahe.
In den Bereichen C1 und C2 variiert die Einschätzung, wieviel Zeit hierfür aufgewendet werden muss. Es hängt von deinen konkreten Ziele ab und wie du diese in Angriff nehmen willst. Laut Goethe Institut sind ungefähr 1.000 Unterrichtsstunden notwendig, um C2 zu erreichen, also rund 300 weitere nach Beenden des B2 Niveaus. Wenn du von Null anfängst, entsprechen 1000 Stunden einer Dauer von ungefähr 4 Jahren, vorausgesetzt du investierst täglich eine Unterrichtsstunde und wendest zusätzlich Zeit für das Selbststudium auf.Würdest du Vollzeit in Kursen oder täglich mit TutorInnen lernen, wäre es mit entsprechender Disziplin wahrscheinlich möglich, das C-Niveau innerhalb eines Jahres zu erreichen.
Deine Ziele erreichen
Selbstverständlich sind alle diese Einschätzungen von verschiedenen Faktoren abhängig – zum Beispiel musst du mehr Zeit einplanen, wenn du eine Sprache lernst, die sich sehr von deiner Muttersprache unterscheidet. Als Spanisch-MuttersprachlerIn wird es dir wohl relativ schnell gelingen, Portugiesisch zu lernen. Wenn du hingegen als Englisch-MuttersprachlerIn Japanisch lernen möchtest, musst du vermutlich mehr Zeit einplanen. Fest steht aber, dass man immer viel Zeit und Arbeit investieren muss, denn auf dieser Reise gibt es keine Abkürzungen. Auch wenn sich viele Institutionen und Organisationen damit beschäftigt haben, wie man diesen Prozess effizienter gestalten kann, ist es ganz einfach nicht möglich, schneller ans Ziel zu gelangen.Wenn dir jemand verspricht, eine Sprache in ein paar Monaten zu lernen, impliziert das meist 8 Stunden intensiven Lernens, und zwar täglich. Wenn du hörst, du müsstest pro Tag nur ein paar Minuten ins Selbststudium investieren, dann ist die Definition von “eine Sprache lernen” eine andere als die, worüber wir hier sprechen – Sprech- und Hörtraining wird bei den genannten Einschätzungen außen vor gelassen.
Die gute Nachricht ist: Es ist allen möglich, mit etwas Zeit, die eben beschriebenen Meilensteine zu erreichen. Da die Lernfortschritte individuell verschieden sind, sind auch die hier beschriebenen Einschätzungen relativ. Wie lange du persönlich benötigst, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie beispielsweise deinem persönlichen Lernstil sowie der investierten Zeit und Regelmäßigkeit.
Wenn du eine neue Sprache entdecken möchtest, definiere zunächst dein Lernziel.Möchtest du ein nahezu muttersprachliches Niveau erreichen, hast du ein Jahrzehnt Arbeit vor dir. Möchtest du die Sprache ohne größere Anstrengungen sprechen und verstehen können, reichen ein paar Jahre aus. Einfache Konversationen in wiederkehrenden Situationen wirst du bereits nach ein paar Monaten führen können.Setz dir ein Ziel, erstelle einen Lernplan und leg los. Es ist in jedem Fall machbar und die Reise wird immer interessanter und abwechslungsreicher, je mehr du in die neue Sprache und Kultur eintauchst und je näher du deinem Ziel kommst.